Die Deutschen und ihre befremdliche Feedbackkultur

Letztes Update am 25.7.2024 19:07 Uhr

Die Deutschen und ihre befremdliche Feedbackkultur

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Erst vor kurzem lauschte ich einem Interview mit Nina Zimmermann, einer gebürtigen Britin, die seit 2021 CEO der Bewertungsplattform Kununu ist. Der Ort, an dem frustrierte Angestellte die Möglichkeit bekommen, ihrem Chef mal ordentlich die Meinung zu geigen. Die Bewertungsplattform, wo Arbeitgeber sich dann eigenständig Fake-Bewertungen schreiben und Geld für wertlose Top-Company-Siegel ausgeben, um sich wieder in ein positives Licht zu rücken.

Ich bin überzeugt, dass das Geschäftsmodell von Kununu nur aus der Feder eines Sadisten stammen kann. Es ist eine Bewertungsplattform, auf der frustrierte Menschen ohne Zwänge ihren Dampf ablassen können. Anschließend bittet man dann die verleumdeten Unternehmen zur Kasse, um die niederschmetternden Bewertungen zu revidieren. Es wird von der Plattform erst aktiv ein Problem geschaffen - schlechte Internetbewertungen - für das man dann selbst die Lösung anbietet: für gute Bewertungen bezahlen. Erinnert irgendwie an Nestlé und Danone, die den Menschen erst das Wasser absaugen, um es ihnen dann teuer abgefüllt in Plastikflaschen zu verkaufen. Ist der lokale Dorfbrunnen erst mal trockengelegt, dann brummt das Geschäft.

Aber was macht die Plattform für Angestellte so interessant, dass diese freiwillig Zeit investieren, um kostenlose Bewertungen für ein Kommerzunternehmen zu verfassen? Es ist die Schadenfreude.

In der englischen Muttersprache von Frau Zimmermann gibt es kein Äquivalent zur Schadenfreude. Das Wort ist eine deutsche Erfindung. Dennoch scheint Frau Zimmermann sehr vertraut mit dem Konzept. So kommentiert sie wütende Anrufe von Personalern stilsicher mit: "Wo Rauch ist, da ist auch Feuer!" Schlagfertig ist die Frau. Ob die Bewertungen auf Kununu für Unternehmen äußerst wertvoll sind, um sich selbst zu verbessern, daran habe ich aber meine Zweifel.

Die Ware Mensch im Unternehmen

Umgekehrt ist es für die Angestellten aber auch nicht besser. Die Arbeitgeber bewerten ihre Mitarbeiter ja auch, nur diskreter. Da gibt es das "offene" Feedback, das in Mitarbeitergesprächen diskutiert wird. Es dient dazu, den Mitarbeiter zu erziehen, ihn nach dem Willen der Firma zu formen. Die Fähigkeit, Feedback von Arbeitgebern zu erhalten und zu nutzen, ist in Unternehmen überaus beliebt. Man möchte gehorsame Lämmchen als Mitarbeiter, die so denken und handeln, wie es die Firmenpolicy vorsieht. Niemand möchte mit dem Säbelzahntiger im Raum sitzen, der einen bei der kleinsten Aggression - dem sogenannten "konstruktiven Feedback" - genüsslich verspeist.

Die meisten Chefs sind ja selbst auch keine Säbelzahntiger, sondern zahme Herdentiere. Ihre Macht basiert auf der Gemeinschaft. Irgendwann sind sie durch ihre Seniorität zu Anführern der Antilopenherde geworden. Warum sollte man sich da dem Risiko eines Raubtiers im eigenen Gehege aussetzen? Wildkatzen sind geduldige Tiere. Gegen große Gruppen haben sie keine Chance, aber sobald die Gemeinschaft schwächelt, schlagen sie eiskalt zu.

Aber nicht nur Wildkatzen sind eine Gefahr für den Antilopenchef, sondern auch interne Machtkämpfe mit anderen Herdentieren. Um sich hier nicht angreifbar zu machen, bewerten Unternehmen ihre Mitarbeiter auf ehrliche Weise nur hinter verschlossenen Türen. Sei es in Qualifikationsmatrizen, Kompetenzprofilen oder mittels informeller Kommunikation. Die sind dann in der Regel noch mal deutlich kritischer als das offen kommunizierte Feedback und spiegeln in der Regel auch nicht die wahre Kompetenz eines Mitarbeiters wieder, sondern bewerten vorwiegend das Verhalten und die Identifikation des Mitarbeiters mit den Unternehmenswerten.

Querulanten sind Gift für ein prozessorientiertes Unternehmen, wo alle Räder im Getriebe ineinandergreifen müssen. In großen Unternehmen schlägt die Gruppe immer das Individuum. Wirklich talentierte Mitarbeiter mit tollen Visionen, die Dinge sehen, die andere nicht sehen können, gehen deshalb in großen Unternehmen unter. Ihnen bleibt nur der Weg in die Selbstständigkeit, um ihr Talent nicht zu vergeuden. Wer selbstbestimmt wirken kann, der erreicht immer mehr als die Person, die durch die Meinung der Gruppe eingeschränkt wird.

Fazit

Wenn wir Menschen bewerten oder ihnen Feedback geben, was möchten wir damit wirklich erreichen?

  1. Möchten wir uns vor Gefahren schützen (Achtung, der ist gefährlich!)?
  2. Möchten wir Frust ablassen (So ein Arschloch!)?
  3. Möchten wir Menschen manipulieren (Verhalte dich bitte so, wie ich es will!)?

Der Deutsche denkt sich: "Man wird es ja wohl noch sagen dürfen, wenn jemand scheiße gebaut hat." Da hoffe ich nur, die Person muss nie mit Personen aus einem fremden Kulturkreis zusammenarbeiten.

Lob, das sollte man auf dieser Welt viel verteilen. Lob ist es auch, was Dinge zum Besseren verändert. Wir sollten Abstand davon nehmen, Personen persönlich zu kritisieren. Ich habe noch niemanden erlebt, der dadurch motiviert wird, dass ihm gesagt wird, was er alles falsch gemacht hat. Aber ich bin ja auch kein Personalchef, der seine "Human Ressource" Lämmer zähmen muss. Genauso wenig bin ich davon überzeugt, dass die Shitshow auf Kununu die deutsche Unternehmenskultur verbessert.


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