Drei Geschichten, die uns in die Irre führen

Letztes Update am 26.5.2024 08:47 Uhr

Drei Geschichten, die uns in die Irre führen

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Informationen spannend verpacken, das funktioniert am besten mit Geschichten. Storytelling nennen die Amerikaner diese Methode. Eine Technik, die viele erfolgreiche Buchautoren und Marketingabteilungen gemeistert haben. Jedes Unternehmen erzählt heute eine Geschichte. Alles hat einen tiefen Sinn, um nicht sogar zu sagen: eine Bestimmung!

Doch sind diese Geschichten, die wir jeden Tag zu hören bekommen, es auch wirklich wert, erzählt zu werden? Im folgenden geht es um drei wenig inspirierende Geschichten, die uns mehr täuschen, als dass sie uns helfen.

1. Probleme sind nicht da, um gelöst zu werden

Selbst zum Kauf eines so banalen Artikels wie Joghurt werden wir heutzutage mit einer kitschigen Geschichte animiert. Als ich vor Kurzem am Bahnhof auf meinen Zug wartete, da lächelte mich auf einem Plakat das Landliebemädchen an. Das Mädchen, deren Seifenkiste kaputt geht und das dann mit Stracciatellapudding getröstet werden muss.

Die Geschichte des Landliebemädchens mag beim Zuschauer Sehnsüchte wecken. An das unbeschwerte Leben auf dem Land, an die eigene Kindheit. Das eigentliche Problem des Mädchens, die kaputte Seifenkiste, wird aber im Werbespot nicht gelöst. Wir sehen nicht, wie die Eltern mit dem Mädchen die Seifenkiste wieder zusammenbauen. Stattdessen serviert die Mutter ihrer Tochter einen Stracciatellapudding. Die Message an den Zuschauer lautet: Verdränge deine Probleme mit etwas Süßem. 

Eine ernüchternde Botschaft. Wer möchte denn bitte ein Mensch sein, der seine Probleme nicht löst, sondern mit Suchtmitteln ertränkt? Dennoch gibt es viele Menschen in Deutschland, die an Übergewicht und Diabetes leiden. Denn wir alle haben von der Süßwarenindustrie gelernt: Tröste Dich mit Zucker. Werbung wirkt, so absurd die Werbebotschaften auch sein mögen.

Wer aus Wut, Einsamkeit oder Trauer isst, den bezeichnen die Fachleute als emotionalen Esser. Emotionales Essen gilt als Risikofaktor für Essstörungen und ist zugleich häufig ein zentrales Symptom davon. Die Neue Züricher Zeitung schreibt hierzu: "Dabei sind es oft nicht die hochintensiven Gefühle wie akute Trauer oder panische Angst, die zum emotionalen Essen führen, sondern eher die kleinen alltäglichen Auseinandersetzungen und Schwierigkeiten." 

Essen dient nicht nur der Sättigung, es dient auch dem Genuss. Da ist es nicht verkehrt, sich auch mal einen Schokopudding zu gönnen. Allerdings hoffentlich immer nach dem Motto: Essen aus Lust, nicht aus Frust.

2. Wer Unternehmer wird, das steht schon von klein auf fest

Wir lieben die Story vom Selfmade Millionär, der sich von ganz unten nach ganz oben gearbeitet hat. Über Daniel Ek, einen der Gründer von Spotify, berichtet das Magazin Starting Up, dass er bereits als 14-Jähriger seine erste Firma gründete. Zusammen mit Klassenkameraden programmierte er Websites für Kunden.

Der amerikanische Investor Warren Buffet hatte laut Techgig bereits als sechsjähriger Kaugummis in der Nachbarschaft verkauft. Mit 13 trug er dann Zeitungen aus und verkaufte nebenbei noch Abos, wodurch er in einem Jahr über 2000 US-Dollar Einkommen erzielte.

Steve Jobs zeigte augenscheinlich schon als Kind eine Abneigung gegen jede Art von Autorität. Die Firma Apple gründete er mit nur 21 Jahren in seinem Kinderzimmer. Mit 25 Jahren hatte er bereits ein Vermögen von 250 Millionen US-Dollar verdient.

Gründerstories zeigen in der Regel eindrucksvoll auf, dass dem Gründer der Sinn für das Unternehmertum schon von klein auf in die Wiege gelegt wurde. Alles oder nichts. Der Gründer gab alles für seinen Traum und er hat es geschafft. 

Was aber ist mit den Millionen an Menschen, die es nicht schaffen? Fehlt diesen Personen etwa das Unternehmergen?

Was ist mit Ibrahim, dem indonesischen Jungen, der in Jakarta den Autos an der roten Ampel die Windschutzscheibe putzt, damit er mit seiner Familie über die Runden kommt? Oder mit Akasch, dem indischen Programmierer, der als Teil der Gig-Economy Webseiten für Kleinunternehmen erstellt. Oder mit Ahmed, der schon dreimal von der Schule verwiesen wurde, weil er seine Lehrerin Frau Müller nicht als Autoritätsperson akzeptiert? Sind das laut unserem westlichen Narrativ nicht die Unternehmertypen, die das nächste Google oder Facebook gründen? 

Eine Studie der Bertelsmannstiftung zur sozialen Herkunft von Startupgründern zeigt auf, dass 85 Prozent der Startupgründer einen Hochschulabschluss besitzen, während unter den Erwerbstätigen nur 24 Prozent der Bevölkerung Akademiker sind. 38 Prozent der Gründer haben mindestens einen Elternteil, der selbstständig tätig ist. Der typische Startupgründer hat eine hohe akademische Orientierung, hohe finanzielle Sicherheit in der Familie und eine eher geringe Risikoneigung. Zudem hat er durch sein familiäres Umfeld Zugang zu mehr und besseren Kontakten, die es dem Startup erleichtern, Gelder zu akquirieren.

Der Guardian titelte im Jahr 2021: "Entrepreneurs are great, but it’s mom and dad who gave them their start." Auf dem Titelbild zu sehen ist Mark Zuckerberg mit der Bildunterschrift: "Mark Zuckerberg reportedly took a $100,000 loan from his father to start Facebook." Der Guardin Artikel verweist unter anderem auf eine Studie im Quarterly Journal of Economics, die der Frage nachgeht, was einen erfolgreichen Unternehmer ausmacht. Drei der wichtigsten Merkmale lauten:

  1. Weiße Hautfarbe
  2. Männlich
  3. Wohlhabende Familie

Liebe Unternehmer, bitte erzählt mir nicht, wie ihr damals auf dem Schulhof Pokémonkarten verkauft habt. Erzählt mir, was euch jeden Tag antreibt. Davon, wie sehr eure Familie euch immer bedingungslos unterstützt hat. Davon, wie stark ihr von unserem Bildungssystem profitiert habt. Erzählt mir mehr von dem, was wirklich zählt. 

3. Werde glücklich, indem du mehr konsumierst

Die Menschen in Deutschland sind wohlhabend und trotzdem sind sie unglücklich. In der EU sind es lediglich die Bulgaren, die unzufriedener sind als die Deutschen. Kein Wunder also, dass es zahlreiche Ratgeber und Erzählungen zum Thema Glück gibt.

Ganz poetisch berichtet beispielsweise eine Julia auf ihrem Blog über die Planung ihrer Weltreise:

Ich war bereits nach dem Abitur für 1 Jahr unterwegs – ganz klassisch in Neuseeland, danach ein bisschen in Australien und Thailand. Als ich von dieser Reise zurückkam, hatte sich etwas verändert. Ich hatte mich verändert. Ich hab mich irgendwie am falschen Platz gefühlt.
Wir führten eine Wochenendbeziehung. Fast 3 Jahre sind wir jedes Wochenende zwischen Nürnberg und Bayreuth gependelt. Mit jedem Wochenende mehr kristallisierte sich der Wunsch heraus, dass wir diese Wochenendbeziehung nicht auf Dauer fortführen möchten.

Für uns der größte Faktor waren unsere Jobs und die Wohnung. Wir hatten beide gute Jobs, haben gut verdient und die Entscheidung zu kündigen, fiel schwer. Letztendlich haben wir es aber dennoch getan. Warum? Wir sind jung, wir leben nur einmal und wir sind uns sicher, dass wir unseren Weg finden werden.

Viel zu viele Menschen definieren sich doch einzig und allein durch ihren Beruf. Aber wer bin ich denn, wenn ich bei einer Versicherung arbeite? Was sagt das über mich aus? Nicht viel, oder?  Kein Geld der Welt, kein noch so toller Arbeitgeber und auch nicht die hübscheste Wohnung definieren dich. Wir sind für unser Glück selbst verantwortlich.

Seltsam diese Influencer, die von ihren Weltreisen berichten. Sie alle sind hyperindividuell und doch erzählen sie uns alle dieselbe Geschichte. 

Glücklich und zufrieden in ihrem Job als Versicherungsmitarbeiter, das sind nur die Loser. Jeder ist seines Glückes Schmied. Geld, Sicherheit, Geborgenheit: All das ist unwichtig. Doch wer kein Geld und familiäres Auffangnetz hat, der startet in der Regel auch keine Weltreise.

Nach den Nahrungsmitteln haben Urlaubsreisen bei deutschen Verbrauchern die zweithöchste Konsumpriorität. Jeder zweite Deutsche gibt in Umfragen an, dass er sich im Alltag einschränkt, um Budget für Urlaube zu haben. Reisen ist in unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Ein einfach zu konsumierendes Verbrauchsgut.

Nun ist es nicht verwerflich zu konsumieren. Jeder soll das konsumieren, was er konsumieren möchte. Die Frage ist nur: Macht Konsum uns glücklich? Ist Konsum die Lösung unserer Probleme? 

Einer der Gründe, warum Geld und Konsum glücklich machen, ist das mit ihnen verbundene Ansehen und Prestige. Wir vergleichen uns gerne mit anderen. Wer mehr hat, der wird bewundert für seinen Reichtum. Das teure Auto und die exklusiven Reisen dienen als Statussymbol und Bestätigung des eigenen Erfolgs.

Das Problem im Internetzeitalter ist, dass unsere Vergleichsgruppe immer größer wird. Im Internet gibt es Abertausende Julias, die immer aufregendere Reisen unternehmen, um ihr Glück zu finden. Sie sind in der Regel jung, weiblich und machen im Bikini eine Topfigur.

Wer da nicht mithalten kann, der fühlt sich schnell abgehängt. Die Unzufriedenheit wächst, weil das eigene Konsumverhalten nicht den Erwartungen standhalten kann.

Liebe Influencer, bitte erzählt uns mehr darüber, was euch Abseits von Konsum glücklich macht. Oft sind es doch die kleinen Dinge im Alltag, die uns am meisten Freude bereiten und nicht das Gefühl der Freiheit beim Frühstück auf der Dachterrasse des Burj Khalifa.

Amen.


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