3 Gründe, warum die deutsche Industrie tagtäglich vor meinen Augen zerfällt
Letztes Update am 27.7.2024 10:13 Uhr
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Deutschlands produzierendes Gewerbe schwächelt. Die Industrie sucht nur allzu gerne die Schuld bei Externen, vor allem der Politik. Zugegebenermaßen ist Deutschland auch ein Bürokratiemonster mit ausufernder Regulation. Die Energiepreise und Gehälter sind teuer in Deutschland, weshalb die Unternehmen kostentechnisch nicht mit den Entwicklungsländern konkurrieren können. Preiskämpfe wird die deutsche Industrie international keine gewinnen.
Die einzige Chance für die deutsche Industrie ist es, hohe Preise durch Qualität und Innovation zu rechtfertigen. Ich bin der festen Überzeugung, dass in Deutschland kein großes Industrieunternehmen aufgrund politischer Restriktionen pleite geht. Die Unternehmen ruinieren sich von selbst, weil sie ihre Wettbewerbsvorteile verspielen. Von den deutschen Industrieunternehmen sind viele schlechter gemanagt als der deutsche Staat, auf den sie alle so schimpfen. Drei Gründe für den Verfall der deutschen Industrie.
1. Outsourcing von Ingenieurarbeiten
Wir leben im Zeitalter der Manager. In den produzierenden Unternehmen ersetzt der Projektmanager den Ingenieur. Es wird so gut wie nichts mehr inhouse entwickelt, stattdessen gibt es einen externen Dienstleister, der eine fertige Lösung verkauft. Das führt dazu, dass der Ingenieursjob in der Industrie größtenteils daraus besteht, auf Shoppingtour zu gehen. Angebote einholen, Preise verhandeln, Bauvorhaben und Dienstleistungen koordinieren: Alltag für viele Ingenieure. Klar, das ist organisatorisch herausfordernd, mit Fortschritt durch Technik hat das aber nichts zu tun.
Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer entsteht ein flexibler Arbeitsmarkt, wenn jeder überall nur noch das gleich macht. Wer Maschinen für Firma A einkauft, der kann auch Maschinen für Firma B einkaufen. Solange der Lieferant nicht Pleite geht, kann einem die interne Fluktuation egal sein. Wenn ein Projektmanager kündigt, dann geht so gut wie kein exklusives Wissen verloren. Der Manager hat ja die Technologie immer nur extern eingekauft und kein Spezialwissen in die Firma eingebracht.
Langfristig führt der Abbau von firmeninternem Know-how zur vollständigen Abhängigkeit von den eigenen Lieferanten. Besonders schwer ist es für Firmen dann, ihre Konkurrenz in Sachen Profitabilität und Effizienz zu überbieten. Wie soll man die eigene Produktion optimieren, wenn die Ingenieure sich mit dem Maschinenpark überhaupt nicht auskennen, weil ihr Job nur noch aus dem Einkauf standardisierter Plug-und-Play Lösungen besteht?
Ohne Frage, wir leben in einer komplexen Welt, in der wir uns nicht mit allem auskennen können. Ich muss nicht wissen, wie meine Klospülung funktioniert, um diese benutzen zu können. Dennoch fehlt es an technischen Experten in der Industrie, weil alle nur noch mit Managementmethoden zu tun haben. Der deutsche Ingenieur kennt sich heutzutage vermutlich besser mit Lean-Methoden, Gantt-Zeitplänen, Meeting-Strukturen und Powerpoint-Präsentation aus als mit der Technik.
Innovation wird aber nicht auf Powerpoint-Folien geboren. Innovation entsteht durch ein tieferes Verständnis der Materie. Durch Erfahrung, was schlecht läuft und Know-how, wie man es besser macht. Wenn ich eine Klospülung verbessern will, dann sollte ich schon grob verstehen, wie die Klospülung aktuell funktioniert. Das gleiche gilt für den Maschinenpark eines produzierenden Unternehmens, den viele deutsche Firmen im Blindflug betreiben. Man verlässt sich viel zu sehr auf Dienstleister, denen der Erfolg des Kunden scheißegal ist.
2. Dysfunktionales Management
Die Deutschen entfremden sich immer weiter von der Chefetage und das zurecht. In den Managementteams finden sich immer mehr Opportunisten, die keinerlei Bindung zu ihrer Belegschaft aufweisen. Im Vergleich zu den Amerikanern sind deutsche Manager uncharismatisch und rhetorisch ungeschickt. Bei deutschen Chefs könnte man teils meinen, man spricht mit einem Roboter, der wie im Callcenter nach einem Frage-Antwort-Schema seine Konversationen führt.
Ich könnte kotzen, wenn eine Person mir gegenüber einen Satz anfängt mit: "Meinem Empfinden nach...". Es ist ja schön, dass man in deutschen Rhetorikseminaren lernt, immer in Ich-Botschaften zu sprechen, aber es macht die Kommunikation hölzern und durschaubar. Mindestens genauso schlimm ist die Sandwich-Taktik, wo vor und nach der Kritik immer ein Lob stehen muss. Bei so was wirkt das Lob eher wie eine Verhöhnung. Soll eine schlechte oder unangenehme Nachricht überbracht werden, dann fängt der Chef immer erst mit der Begründung an. Handelt es sich um eine gute Nachricht, dann gibt es zuerst die guten Neuigkeiten und dann die Begründung. Wird eine Gehaltserhöhung abgelehnt, dann bekommt man erst minutenlang einen Roman vorgebetet, wie schwierig die finanziellen Umstände der Firma sind, bevor die Entscheidung mitgeteilt wird.
Amüsant wird es dann, wenn Führungskräfte sich in Themen wie Authentizität coachen lassen. Leute, die wir als authentisch wahrnehmen, denen vertrauen wir, weil sie eben nicht so auftreten, wie es ihnen ein Coach beigebracht hat. Man wird nicht authentischer, indem man sich immer mehr verstellt. Authentisch sind die Menschen immer dann, wenn sie sich in der Gruppe wohlfühlen und keine Gefahr droht. Bei den meisten Managern sägen so viele Aasgeier an ihren Stühlen, dass sie sehr bedacht vorgehen müssen, keinen Fehler zu machen. Ein Chef, der authentisch seine Schwächen offenlegt, der ist am nächsten Morgen kein Chef mehr.
Authentisch auftreten, das können meist nur Chefs, die auch im Privatleben Anführer sind. Menschen, zu denen andere aufschauen, die auch ohne formale Hierarchie eine große Autorität ausstrahlen. Wenn man eine Abteilung nackt und ohne Essen im Dschungel aussetzt, ist es dann der Abteilungsleiter, zu dem alle aufschauen und der das Überleben der Gruppe sichert? Das wird in den seltensten Fällen der Fall sein. Für viel wahrscheinlich halte ich es, dass der Chef als Erster für die Gruppe geopfert wird und als Spießbraten auf dem Grill landet, wenn der Hunger zu groß wird.
Ein Management, dem die Mitarbeiter nicht vertrauen, ist kein Treiber für Innovation und Erfolg. Menschen schauen auf zu anderen Personen, die sich für die Gemeinschaft einsetzen und deren Status sich nicht auf der formalen Hierarchie im Unternehmen begründet. Deutschlands Management benötigt wieder mehr Menschen, die das Unternehmen und seine Mitarbeiter vorantreiben und nicht nur ihre eigene Karriere im Blick haben.
3. Demotivierte Mitarbeiter
Deutsche Arbeitnehmer sind top ausgebildet, aber wenig leistungsfähig. Wir haben es uns in Deutschland bequem gemacht in unserer Wohlstandsgesellschaft. Galt früher noch das Klischee des faulen Beamten, so sitzen heute die bequemsten Mitarbeiter in den Büros der Konzerne. Bei vielen scheint das einzige Tagesziel möglichst schnell in den Feierabend zu kommen. Die Büros in deutschen Industriebetrieben leeren sich häufig schon ab 15 Uhr mittags.
Durch Tarifverträge haben viele Mitarbeiter de facto eine 4,5 Tage Woche, wo am Freitagmittag gar nichts mehr geht. Dennoch stummen Forderungen zur 4-Tage-Woche und einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht ab. In Griechenland wurde aufgrund des Fachkräftemangels erst vor kurzem wieder die 6-Tage-Woche eingeführt. Die Deutschen arbeiten im internationalen Vergleich schon extrem wenig. Den Mythos, dass die Deutschen bei weniger Arbeitszeit viel produktiver als andere sind, halte ich für ein Märchen.
Bei deutschen Arbeitern muss man schon froh sein, wenn sie überhaupt zur Arbeit erscheinen und nicht krank sind. Der Krankenstand ist in Deutschland seit Jahren auf Rekordniveau, vor allem auch bei der jungen Generation. Im Jahr 2022 waren 20 bis 24-jährige Männer im Schnitt für 17,3 Tage krank, bei jungen Frauen waren es ganze 19,1 Tage. Eine Grafik des Informationsdiensts des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, wie erschrecken die Krankheitszahlen sich über alle Altersgruppen hinweg entwickelt haben.
Kombiniert man 30 Tagen Urlaub mit 12 Feiertagen und 23 Krankheitstagen, so fehlt der deutsche Arbeitnehmer seinem Unternehmen pro Jahr für 65 Arbeitstage. Das sind 13 Wochen. Hat der Arbeitnehmer dann noch das Glück, Überstunden über ein Gleitzeitkonto abbauen zu können, so kommen auch schnell mal ein bis zwei weitere Wochen Fehlzeit hinzu.
Der Trend zum Homeoffice hält weiter an. Viele Arbeitnehmer würden am liebsten gar nicht mehr ins Büro kommen. Es gibt unbestritten viele Mitarbeiter, die auch im Homeoffice produktiv arbeiten, aber man sollte nicht vergessen, dass es für Unternehmen einfacher ist, Remote Mitarbeiter zu ersetzen als eine Person vor Ort. Bei der deutschen Arbeitsmoral würde es mich nicht wundern, wenn Unternehmen in Zukunft vermehrt nach Arbeitskräften im Ausland suchen, die im Home Office günstiger und länger arbeiten. Ortsungebundene Arbeit ist ein Vorteil, hat aber auch seine Fallstricke.
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